Was heute fast ausschliesslich in der Fotografie zu finden ist, gelingt der Künstlerin Sieglinde Wittwer in ihrer graphischen Blättern: Ein Engagement für die Unversehrtheit der Seele.
Mit einer Weiterentwicklung der Technik der Radierung entzieht sie ihren Protagonisten das Umfeld, schneidet sie aus und überlässt sie sich selbst. Watend im Nichts und ohne Horizont wirken sie verletzlich und auf sich selbst reduziert. Oder sie tauchen in der Übermacht ihrer Umgebung unter, sind in Mitten einer gespenstisch inszenierten Grossstadt, wo sie in Orientierungslosigkeit wie zufällig verweilen. Hier sind sie in weiche Töne, Schattierungen gebettet, welche die verschiedenen Ebenen eines Raumes gestalten und zu einem Labyrinth zusammenfügen. In Wittwers Arbeiten stehen Fragmentierung und fliessende Grenzen einander gegenüber. Sie arbeitet mit Direktätzungen, indem sie mit dem in die Säure getauchten Pinsel in zahllosen Durchgängen direkt auf die Platte malt. Ein Verfahren, das Könnerschaft und Geduld erfordert und Schattierungen und Modellierungen möglich macht. Und genau das ist auch der Effekt, den Wittwer damit erreichen will: wie in ihren Ölbildern und Skulpturen zielt sie auch in der Graphik auf eine räumliche Wirkung ihrer Kompositionen. Der Mensch ist dabei immer zentrales Element, selbst wenn er nicht da ist. Dann nämlich berührt er in seiner Abwesenheit. Sieglinde Wittwers Arbeiten sind ein Plädoyer für das Recht auf die Unversehrtheit der Seele. Dabei ist es unerheblich, ob sie Fischer in Dakar oder Grossstädter aus Toronto ins Bild setzt. Am Ende sind es Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit, die berühren und zum Nachdenken anregen.
Franziska Thomas